Verkehrsspiele
Gesellschaftsspiele dokumentieren die Entwicklung des Autoverkehrs
Nach dem Ende des verheerenden Krieges braucht es erstmal eine Weile, bis sich das Leben wieder in annähernd geregelten Bahnen bewegt. Doch mit der Normalisierung der Verhältnisse und steigender Wirtschaftskraft schnellen die Zulassungszahlen für motorisierte Fahrzeuge im Verlauf der 50er Jahre wieder in die Höhe, was die Spielwarenhersteller dazu ermutigt, eine ganze Reihe neuer Verkehrsspiele auf den Markt zu bringen. Zuerst seien jedoch noch einige „alte Bekannte“ beschrieben, die, offenbar aufgrund ihres hohen Bekanntheitsgrades in der Vergangenheit, die Ereignisse „überlebt“ haben: Als erster genannt sei „Der gute Schupo“, der auch in den Fünfzigern – wie gehabt mit behutsam modernisiertem Deckelbild - in den Regalen der Spielwarenhändler zu finden ist.
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Komplett erneuert wurden jedoch Spielbrett und Spielregeln – beide leider nicht zu ihrem Vorteil. Zwar wurde ersteres mit zeitgemäßen Illustrationen aufgefrischt, doch sorgen die dazugehörigen Bildunterschriften durch ihr an Fraktur-Schrift erinnerndes Erscheinungsbild für einen recht antiquierten Gesamteindruck. Und die überarbeiteten Spielregeln bedienen sich einer aus pädagogischer Sicht äußerst zweifelhaften, für diese Zeit aber leider typischen „Angstmacherei“, die in ihrer Deutlichkeit selbst die in dieser Beziehung ausgesprochen direkten Vorkriegsspiele übertrifft: „Laß es sein, laß es sein / Schnell verliert man Arm und Bein.“ Im Nachhinein jedoch wirken einige dieser Zweizeiler eher skurril („Gehst du bei „Rot“ / Leicht bist Du tot!“) oder erinnern manchmal – sicherlich unfreiwillig - sogar an die Verse eines Wilhelm Busch, der sich bei der drastischen Schilderung der Folgen jugendlichen Ungehorsams stets eines ironischen Untertons bediente: „Wer auf die Trambahn springt / Weiß nie, ob es gelingt.“ Offenbar war dem Spiel auch in den 50ern noch ein angemessener Verkaufserfolg beschieden. Zwar ändert es nicht mehr sein Erscheinungsbild, dafür aber dokumentiert eine Version mit direkt auf den Schachteldeckel aufgedrucktem – statt wie bisher üblich aufgeklebtem - Deckelbild den Einzug moderner Fertigungsmethoden in die Spieleproduktion.
Regeltechnisch ändert sich bei den Spielen der Nachkriegszeit wenig bis gar nichts. Deutlich wird dies bei Abel Klingers alt bekanntem „Verkehrszeichenspiel“, das zwar in einer neu gestalteten Schachtel angeboten wird, dessen Spielplan samt Anleitung jedoch identisch mit dem der über ein Jahrzehnt zuvor erschienen Ausgabe ist.
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Komplett überarbeitet wurde die Verpackung auch beim bereits in den Vorgänger-Varianten beschriebenen „Vorsicht – Das neue Verkehrsspiel“ von Klee. Das Besondere an der Neugestaltung dieses Spiel ist, dass auf der Schachtelabbildung ein Unfall zu sehen ist, der wohl noch einmal zusätzlich die Wichtigkeit der Einhaltung von Verkehrsregeln unterstreichen soll. Obwohl eigentlich ein nahe liegendes Motiv, handelt es sich bei diesem Spiel aber wohl um das einzige, das sich solch einem abschreckenden Beispiel bedient. Beteiligt an dem zeichnerisch in Szene gesetzten Unglück sind ein schnittigen Cabrio sowie ein LKW, auf dessen Heck, wie zum Hohn, ein für die Zeit typischer Spruch zu lesen ist: „Nimm Dir Zeit und nicht das Leben.“ Als Hintergrundfarbe wurde, wohl zur Unterstreichung eines in großen Lettern über dem Geschehen prangenden „VORSICHT!“, eine an heutzutage gebräuchliche Neonfarben erinnernde „Schockfarbe“ gewählt, die dem Spiel ein auffälliges und für die damalige Zeit sicherlich ungewöhnlich „knalliges“ Äußeres verleiht.
Nicht verändert hat sich bei der Mehrzahl der 50er-Jahre-Spiele im Vergleich mit den Vorkriegsexemplaren der Ort des Geschehens: Innenstädte mit hohem, meist sogar überhöhtem Verkehrsaufkommen, durch das vielerlei Gefahren entstehen. Sehr anschaulich dargestellt wird dieses alltägliche Chaos auf dem Deckelbild von „Das bewegliche Verkehrsspiel“,
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dessen reales Vorbild-Szenarium wiederum in Berlin angesiedelt ist. Die auf dem Bild zu entdeckende gläserne „Verkehrskanzel“ wurde 1955 am Kurfürstendamm Ecke Joachimstaler Straße auf einem 4,5 Meter hohen Betonunterbau errichtet, um dem darin positionierten und die Ampelschaltung manuell steuernden Polizeibeamten einen optimalen Überblick über die aktuelle Verkehrssituation zu verschaffen. 1962 wurde der Glaskasten überflüssig, weil durch den technischen Fortschritt automatische Ampelregelungen möglich wurden. Unter Denkmalschutz stehend, ist das Relikt aus einer Zeit abgasverpesteter Innenstädte, in denen das Atmen bisweilen schwer fiel, auch heute noch an selber Stelle in Augenschein zu nehmen. - „Alle Wege führen nach Bonn“ war hingegen die Devise von „Polizeimeister Kaufhold“, der laut Schachtelaufdruck für den Entwurf des „interessanten Verkehrsspiels“ „Gute Fahrt!“ verantwortlich zeichnet.
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Mehrere auf dem Spielplan zu entdeckende Hinweisschilder mir den Entfernungsangaben „München 10 km / Bonn 600 km“ zielen wohl darauf ab, die politische Bedeutung der von vielen Zeitgenossen als deutsche Hauptstadt nicht so ganz ernst genommene Stadt an Rhein in den Köpfen zu verankern. In der Folge war nicht nur das unter dem Titel „Wer hat Vorfahrt?“ eine Neuauflage erlebende Spear - Spiel erfolgreich, sondern auch Polizeimeister Kaufhold, der in der Zwischenzeit zum „Obermeister“ befördert worden war.
Auffällig bei den in den 50ern produzierten Spielen ist die Zunahme von Werbung, sei es, dass die auf den Spielplänen erkennbaren Tankstellen die Aufschriften bestimmter Mineralölkonzerne tragen oder dass die Spiele von diesen zu Reklamezwecken gänzlich in Eigenregie konzipiert wurden. Mangels erkennbarem anderweitigen Herstellervermerk trifft letzteres wohl mit „Kreuz und quer durch den Verkehr“ auch auf eines der grafisch sicherlich gelungensten Verkehrspiele dieser Zeit zu.
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Die Deckelillustration des BV (=Benzol-Verband)-ARAL-Spiels gewährt dem heutigen Betrachter, ähnlich wie schon beim bereits beschriebenen „Verkehrszeichenspiel“ aus den 30er Jahren, einen Blick durch die Windschutzscheibe eines Autos heraus auf eine zeitgenössische Straßenszene. Nebenbei: ein direkter Vergleich beider Spiele entpuppt sich als ausgesprochen reizvoll und offenbart schnell die Faszination des Verkehrsspiele Sammelns. Das ARAL - Spiel jedenfalls beinhaltet einen großformatigen und ungewöhnlich detailreichen Spielplan, für den mit Bernt Rösel ein vor Motivideen schier überquellender Künstler verantwortlich zeichnet, der sich seinerzeit auch als Buchillustrator und Gestalter von Verkehrs-Lehrtafeln für den Schulgebrauch einen Namen gemacht hat.
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Benzin der Marke ESSO „tanken“ die Spieler beim Noris -Spiel „Achtung - Rot“, das vermitteln möchte, dass im Großstadtverkehr „der kürzeste Weg nicht immer der schnellste“ ist und in zeittypischem Anpreisungsstil erst einmal Eigenwerbung betreibt: „Verkehrsfachleute und Erzieher urteilen: -ganz ausgezeichnet! –interessant – lehrreich - das Spiel für unsere Kinder.“ Das „zum Patent angemeldete“ „Achtung – Rot“ besitzt ein besonderes, während des Spielverlaufs immer wieder für Abwechslung sorgendes Ausstattungsmerkmal: Wird eine „6“ gewürfelt, muss der Spieler eine unter dem eigentlichen Spielbrett befindliche Scheibe ein Stück weiter drehen, wodurch in im Spielbrett befindlichen runden Aussparungen jeweils andere Verkehrszeichen oder Ampelfarben sichtbar werden und derart immer wieder für neue Verkehrssituationen sorgen. Während auf dem Deckelbild der ersten Version ein durch seine aggressiv gestaltete Frontpartie regelrecht Furcht einflößender Lastwagen und eine nicht minder bedrohlich daherkommende riesige Limousine abgebildet sind, blickt dem Spieler von der Schachtel der inhaltlich identischen Neuauflage ein freundlich schauender Schutzmann entgegen.
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Um das Werbespiel einer Nudelfabrik handelt es sich bei „Kreuz und quer mit Buck durch den Verkehr“. Schöner noch als der eigentliche Spielkarton ist ein beiliegendes Begleitheft, welches darüber Aufschluss gibt, dass die 60 zum Spiel gehörenden, verschiedene Verkehrssituationen abbildenden Spielkarten durch Kauf von Eiernudeln dieses Herstellers zusammengesammelt werden konnten. „Das Spiel selbst mit Spielplan, Autos, Würfeln und Spielgeld“ bekam der Nudelliebhaber durch Einsendung von nur 2,-DM“ auf das „Postscheckkonto“ der Firma, die sich abschließend noch zu einer Bitte an die offensichtlich sammeleifrige Kundschaft veranlasst sah: „Ihr Kaufmann ist überlastet! Bitte, denken Sie daran und behelligen Sie ihn nicht mit Bildertauschwünschen“…
Eigentlich nicht um ein Verkehrs-, sondern eher um ein Strategiespiel handelt es sich bei einem im „Verlag der Rotsiegelspiele“ hergestellten Werbespiel des damaligen deutschen Mineralölunternehmens NITAG. „Achtung – Durchfahrt frei!“ soll an dieser Stelle dennoch Erwähnung finden, weil es zum einen über ein ausgesprochen gelungenes Deckelbild verfügt und zum anderen mit einer recht skurrilen Spielidee aufwarten kann:
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Das Vorhaben, mit der eigenen Spielfigur eine Tankstelle zu erreichen, versucht der Gegner durch Umleitungen aufstellende Polizisten zu vereiteln…Dabei ist „die NITAG – Tankstelle die Insel im Strudel des Verkehrs. Gelangt das Auto in eine durch verstärkte Linien gekennzeichnete NITAG – Zone, so hat weder Polizist noch Umleitung Einfluss auf die Zugweise“. - Recht ungewöhnlich kommt die Verpackung für ein Werbe-Verkehrsspiel eines Reifenproduzenten daher: Spielplan und –figuren für „Das lustige Fulda-Spiel“ sind in einem zylinderförmigen Behälter untergebracht, der an eine Verpackung für Tennisbälle erinnert.
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Hinreißend schön im Stil der Zeit – wiederum mit einem „Wundschutzscheibenblick“ aus der Autofahrerperspektive - ist dem ausführenden, leider nicht namentlich genannten Künstler die Verpackungsgestaltung des Klee-Spieles „Cabrio – Die kleine Fahrschule“ gelungen. Zwar hält der Inhalt nicht ganz, was die Schachtel verspricht, doch ist letztere derart attraktiv, dass dieses Spiel sicherlich allein schon ihretwegen eine Bereicherung für jede Spielesammlung darstellt.
Einige sehr gelungene Verkehrsspiele stammen aus österreichischer Produktion, so zum Beispiel „Vorsicht im Strassenverkehr“
und „Das neue Verkehrsspiel“,
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hergestellt jeweils von der Firma Josef Schneider Jr. in Wien (gemarkt mit „J.S.J“ über einem „W“). Beide Spiele verraten durch entsprechende auf dem Spielplan eingezeichnete Straßenbahnhaltestellen ihre Wiener Herkunft und gefallen insbesondere durch die realistischen Darstellungen zeitgenössischer Autotypen wie einem VW - Bulli mit geteilter Frontscheibe oder dem aus einer Kunstleder beschichteten Sperrholzkarosserie bestehenden „Leukoplastbomber“ Lloyd 300, der sich damals aufgrund seines bauartbedingt unzureichenden Insassenschutzes den Spottvers „Wer den Tod nicht scheut fährt Lloyd“ gefallen lassen musste. Ein knapp zwei Jahrzehnte später ebenfalls eher als „Allerweltswagen“ angesehener Autotyp steht im Mittelpunkt der Deckelillustration des „interessanten Verkehrsspiels“ „STOP“ von STOMO (Stockinger & Morsack). Das im Stil einer von einem Pop-Art Künstler veredelten Comic-Zeichnung gestaltete Deckelbild lässt den abgebildeten Ford Escort jedoch in ungewohntem Glanz erstrahlen.
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Eine Überraschung erlebt, wer den Inhalt des „Eco“ - Spiels „Verkehrslotse“ mit dem eines gleichnamigen DDR-Spieles vergleicht: Er ist identisch und dokumentiert somit die regen Exporttätigkeiten der DDR, die im Bemühen um die Beschaffung von Devisen keine Berührungsängste mit dem kapitalistischen Westen kannte.
Auch das Noris - Spiel „Hurra ein Parkplatz“ und sein DDR-Pendant „Wir suchen einen Parkplatz“ weisen in Inneren gestalterische und konzeptionelle Ähnlichkeiten auf.
Bei einigen anderen DDR-Spielen sticht ins Auge, dass die auf ihnen abgebildeten und eher an amerikanischen Straßenkreuzern als an Trabant, Wartburg & Co orientierten Autotypen wohl wenig mit der Realität auf den sozialistischen Straßen gemein hatten. Möglicherweise wollte man sich durch solche westlich geprägten Illustrationen auch die Möglichkeit eines Exports offen halten.
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Eine auf das Jahr genaue Datierung von Verkehrsspielen gestaltet sich in der Regel sehr schwierig, da viele dieser Spiele in immer wieder neuen Auflagen herausgekommen sind oder manchmal auch umgekehrt über viele Jahre hinweg in unveränderter Form produziert wurden. Anhaltspunkte für ein frühest mögliches Erscheinungsdatum geben bisweilen Illustrationen auf Spielplan oder Schachtel, die sich auf reale Vorbilder wie den „Verkehrsturm“ auf dem Potsdamer Platz oder die „Verkehrskanzel“ beziehen. Die Gesamtzahl der im Laufe der Zeit erschienenen Verkehrsspiele ist jedenfalls unübersehbar und sicherlich im dreistelligen Bereich anzusiedeln, denn auch nach Jahren des Sammelns tauchen immer wieder einmal noch nie zuvor gesehene Spiele auf.
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