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Reisespiele

Die Reisewelle der 1950er Jahre - dokumentiert durch Gesellschaftsspiele

Text: Jörg Bohn / VG Wort Wissenschaft - Erstveröffentlichung im Sammlermagazin "TRÖDLER", Heft 4 / 2013

Reisespiele erfreuten sich im Deutschland der Nachkriegszeit großer Beliebtheit. Nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in der DDR konnte mit ihnen per Würfel und Spielbrett die Welt erkundet werden. Bei einem Vergleich offenbaren diese Zeitzeugnisse der Alltagskultur aus Deutschland Ost und Deutschland West mitunter überraschende Gemeinsamkeiten.

„Daß es kleine und große Wellen gibt, Sturzwellen, Kurbelwellen, Bauchwellen und Dauerwellen – das wissen wir schon lange“. Was jedoch Klaus Besser, dem Verfasser eines im Januarheft 1957 in der Zeitschrift Brigitte nachzulesenden Artikels mit dem Titel „Von Welle zu Welle“ nach eigener Aussage „bis vor kurzem unbekannt war“, ist, „daß es auch Eß-, Haushalts- und Reisewellen gibt. „Wir waren ausgehungert und stürzten uns auf Eisbeine und Hammelkeulen“. Diese „Eßwelle“ „dauerte bis etwa 1950.“ – „Als wir satt waren, entdeckten wir plötzlich die Löcher in unseren Teppichen, die Sprünge im Geschirr, die Risse im Oberleder unserer Schuhe. Also kauften wir, was das Portemonnaie, die Warenkreditgesellschaften und die Vorschüsse hergaben.“ Die „Haushaltswelle“ „bespülte die Geschäfte bis etwa 1952“. – Anschließend „stellten wir fest, daß wir uns doch noch eigentlich gar nicht in der Welt umgesehen hatten.“ Infolgedessen begannen die Bundesbürger zu reisen. „Erst nach Oberbayern, in den Schwarzwald, in den Harz, in die Heide und in die Nord- und Ostseebäder. Ein Jahr später aber fuhr der Mann, der etwas auf sich hielt, nach Italien. Wir trugen unsere Ersparnisse ins Reisebüro.“ - Inzwischen wissen wir rückblickend, dass dieser ersten „Reisewelle“, die aus Sicht des gerade zitierten zeitgenössischen Chronisten „bis etwa 1955“ andauerte, noch weitere folgen sollten und die Bundesdeutschen schließlich sogar zu „Reiseweltmeistern“ avancierten.-

Auch einige Spielwarenhersteller ließen es sich nicht nehmen, auf den Reisewellen mitzuschwimmen. Sie produzierten im Laufe der Zeit etliche Gesellschaftsspiele, mit Hilfe derer die Spieler bereits im heimischen Wohnzimmer „die weite Welt“ kennenlernen konnten. Heute ermöglichen solche „Reisespiele“ der 50er und 60er Jahre dem zeitgeschichtlich Interessierten auf reizvolle Art und Weise, sowohl die Vorlieben im Reiseverhalten der Deutschen als auch die technischen Entwicklungen der Reisemittel in der Wirtschaftswunder-Ära nachzuvollziehen.

Um den Erfolg dieser zwar optisch sehr ansprechend, von der Spielidee her jedoch zumeist eher altbacken daher kommenden Spiele verstehen zu können, muss man sich zunächst einmal vergegenwärtigen, dass das Fernsehen Mitte der 1950er Jahre noch in den Kinderschuhen steckte. Erscheinen uns gegenwärtig dank ungezählter TV-Reisedokumentationen auch die entlegensten Winkel dieses Planeten geradezu vertraut, bezogen die Menschen damals ihr Wissen über andere Länder vorwiegend aus trockenen Reiseführern, schwarz-weiss bebilderten Zeitschriftenartikeln oder auch aus den sehr beliebten Ratgebern in Buchform. Letztere bedienten sich dazu gerne der gängigen Klischees, wie zum Beispiel Gertrud Oheims „1x1 des guten Tons“: „Wer nach Italien fährt, muß sich auf einen ganz anderen Menschenschlag gefaßt machen: lebhaft, temperamentvoll, laut, wortreich und voller Gesten und Gestikulationen in der Unterhaltung, himmelhoch jauchzend eben noch, jetzt zu Tode betrübt. Viele Italien-Reisende sind schon einmal Zeuge einer Auseinandersetzung zwischen Einheimischen gewesen und glaubten, dass es dabei Tote geben würde – weit gefehlt! Nach kurzer Zeit (blutige Köpfe kommen allerdings auch vor) gab es Lachen und Gelächter und fröhliche Versöhnung beim Wein.“ Auch dank solcher „Informationen“ bedeutete zu Beginn der Fünfziger Jahre eine Reise in das Ausland – zumal nach jahrelanger kriegsbedingter Isolation - für nicht wenige noch eine Fahrt in ein ungewisses Abenteuer. Und so war bei den Reisespielen neben dem Unterhaltungs- sicher auch der Lerneffekt in Form von Erläuterungen zu den im Spiel zu besuchenden Städten und Ländern willkommen – andernfalls hätten sich diese lange Zeit nach immer gleichem oder nur leicht abgewandeltem Strickmuster konzipierten Spiele wohl nicht so lange am Markt gehalten. Dass die hübschen bunten Illustrationen auf Schachteln und Spielbrettern gut geeignet waren, um darüber hinaus ein wenig von fernen Ländern zu träumen, hat sicherlich ebenfalls nicht unwesentlich zum Verkaufserfolg beigetragen.

Zu Beginn des Jahrzehnts blieben die Deutschen jedoch noch überwiegend im eigenen Land. Eine sehr beliebte Art, den Urlaub zu verbringen, waren mehrtägige Omnibusfahrten.

 

Zwar dokumentiert ein zeitgenössischer Reisekatalog, dass auch im Jahr 1951 schon eine Fahrt „Ins Sonnenland Italien“ angepriesen wurde, doch die große Mehrzahl der in dieser Quelle zu entdeckenden Angebote bezieht sich auf inländische Ziele wie das Zugspitzgebiet, das Berchtesgadener Land oder den Bodensee. Ein wichtiges Kriterium für die Wahl des Reiseziels dürften wohl nicht zuletzt die Kosten gewesen sein. So sind 8 Tage Schwarzwald bereits für lediglich ein gutes Drittel des Betrages zu buchen, den der Erholungssuchende für die Italienfahrt zu berappen gehabt hätte.

Auch mit dem Spiel „Schwarzwald Reise“ aus dem Verlag C. Abel-Klinger / Fürth können „bis zu 6 Personen“ den Schwarzwald erkunden.

 

                     
     

Per Würfel und figürlichen, Touristen darstellende Spielfiguren, geht es auf einem sehr gefällig illustrierten Spielbrett im Gänsemarsch von Feld zu Feld. Zu jeder auf dem Weg liegenden Stadt sind Ereignisfelder eingezeichnet, zu denen die Spielanleitung mitunter launige Mitmachspäße im Geist der Zeit parat hat: Im „reizenden, im Gutach-Tal gelegenen Triberg“ beispielsweise „kauft sich der Spieler eine echte Schwarzwalduhr, ruft 3 X „Kuckuck“ und darf noch einmal würfeln.“ Ob das Spiel von einigen der auf dem Spielplan auszumachenden Städte gesponsert wurde, ist nicht bekannt. Auffällig ist jedoch, dass manche Orte wesentlich besser wegkommen als andere. Während zum Beispiel das „durch viele schöne Bauten, herrliche Wälder und mildes Klima“ bekannte Freiburg „eingehend besichtigt“ wird, hält sich der Spieler „in Offenburg nicht auf und rückt gleich auf Nr.13“. Ähnliches ist bei der im selben Verlag erschienenen und nach gleichem Spielprinzip funktionierenden „Bayern-Reise“ auszumachen.

                  
     

So wird der Spieler „in Bad Reichenhall eingeregnet und fährt deshalb nach Traunstein ab“. Bemerkenswert ist zudem, dass Ruhpolding, einer der zu dieser Zeit wohl meist besuchten deutschen Ferienorte überhaupt, gar nicht auftaucht. Zu verdanken hatte der Ort seine Beliebtheit Carl Degener, dem Gründer des Reiseunternehmens Touropa. Der nämlich organisierte nach dem Krieg als erster Veranstalter im großen Stil günstige Pauschalreisen, die solch breiten Anklang fanden, dass sie Ruhpolding, unter anderem mit eigens für diesen Zweck konzipierten Sonderzügen, eine regelrechte Touristenschwemme zuführten. -

Beidseitig bedruckt ist der Plan des Spieles „Reise durch Nord- und Mitteldeutschland“ von Schmidt,

 

dessen Karton durch eine ausgesprochen reizvolle Deckelillustration zu gefallen weiß, auf welcher der ausführende Zeichner ein schickes Cabriolet in die Landschaft gesetzt hat. Während die Reise in den Norden dem Spieler das Gebiet zwischen Hannover und Flensburg näher bringt, wird Mitteldeutschland durch die Eckpunkte Darmstadt, Osnabrück, Hildesheim und Würzburg begrenzt.

Die Spielanleitung des „lehrreichen geographischen Spiels“ „Kreuz und Quer durch Deutsche Lande“

               
     

dokumentiert damalige deutsch-deutsche Befindlichkeiten: „Damit Ihr, liebe Spieler, die Ost- und Westzone Deutschlands in ihrer gegenwärtigen Gestalt kennenlernt und Euch gut einprägt, wollen wir kreuz und quer vom Süden bis zum Norden reisen“. Besonders gewissenhaft hat der verantwortliche Spieleverlag Abel-Klinger diesen Vorsatz jedoch nicht umgesetzt, denn ein Stück der Deutschlandkarte ist den Maßen des Spielbretts zum Opfer gefallen. Abgeschnitten wurden unter anderem Frankfurt an der Oder, Eisenhüttenstadt und Görlitz, die man offenbar nicht für zwingend „kennenlernenswert“ hielt. Immerhin gibt es ein originelles Ausstattungs-Extra: um die Zahl der vorzurückenden Felder zu ermitteln, findet der Spieler statt Würfeln eine Zahlenscheibe vor, auf der ein Zeiger gedreht werden darf.

„Schlagbaum hoch!“, der Titel eines 1953 erschienenen „ADAC-Ratgeber für Auslandsreisen“, signalisiert, dass es im Urlaub nun immer häufiger über die Landesgrenzen hinausgeht. Mit ein Grund dafür ist sicherlich, dass die den Bundesbürgern nach Kriegsende auferlegten Beschränkungen der Reisefreiheit inzwischen stetig gelockert wurden und sie für Fahrten in die meisten europäischen Länder kein Visum mehr benötigen. Und so zieht es sie denn – zunehmend auch mit dem eigenen fahrbaren Untersatz – in den sonnigen Süden.

„Sicher wünscht sich jeder von uns, einmal das herrliche Reiseland Italien mit seinem ewig blauen Himmel, seinen schönen Seen, Küsten und Gebirgen zu besuchen“, heißt es daher in der Spielanleitung der „Italien-Reise“ des Abel Klinger Verlags.

 

„Heute soll dieser Wunsch in Erfüllung gehen. Wir machen gemeinsam eine Italien-Reise und freuen uns, die Schönheit und viele Sehenswürdigkeiten dieses Landes kennenzulernen.“

So besichtigt der auf dem mit berühmten Bauwerken illustrierten Spielbrett Reisende denn in Florenz die Uffizien und in Mailand die großen Kunstsammlungen, „bleibt in Pompeji, um die Ausgrabungen zu besichtigen“ und am Vulkan Aetna wird dem Spieler „so warm, daß er erst ein Bad nehmen muß, ehe er weiterreist“. Ungewöhnlich ist, nicht nur bei diesem Spiel sondern auch bei diversen seiner Mitbewerber, der Weg zum Sieg. Gewonnen hat nämlich „derjenige Spieler, der als letzter im Ziel ankommt; denn er hat am längsten in Italien geweilt und hatte Gelegenheit, die meisten Sehenswürdigkeiten zu besichtigen und die meisten Erlebnisse zu sammeln.“

„Das ist das Beglückende an unserer Zeit: dass der Mensch sich die Freiheit des Reisens erwählen kann, zu Fuß oder zu Flugzeug, mit dem 100 Pferde starken Auto oder mit dem Fahrrad, mit dem Rucksack oder dem Schrankkoffer. Ohne Visum, aber mit Devisen, beginnt alljährlich die friedliche Völkerwanderung, übervölkert eine höher und höher gischtende Reisewelle die einzelnen Länder“ beschreibt 1956 der Ratgeber „So reist man gut“ die beständig wachsende Reiselust der Deutschen. „Wir hüpfen von Land zu Land und machen mit der vollautomatischen Kamera Schnappschüsse.“ Passend zu diesen Betrachtungen ist denn sogar auch eine der hübschen zinnernen Spielfiguren der „Mittelmeerreise“ von Klee (L. Kleefeld & Co. Spielefabrik Fürth) mit einem Fotoapparat ausgestattet. Beim Lesen der Anmerkungen zu den einzelnen Reisestationen wird jedoch ersichtlich, dass die zurückliegenden Kriegsjahre auch Mitte der 50er Jahre in den Köpfen der Menschen offenbar noch sehr präsent sind: „Tobruk, Hafenstadt in Nordafrika, ist bekannt durch die heftigen Kämpfe zwischen deutschen und englischen Panzertruppen im 2.Weltkrieg.“ Es gibt übrigens zudem eine jüngere Version dieses Spiels mit unverändertem Spielplan, aber modernisierter Schachtelillustration und dem erweiterten Titel „Italien und Mittelmehr Reise“.

       
     

Sehr große Ähnlichkeiten sowohl in graphischer und farblicher Gestaltung der Spielpläne als auch bezüglich der Regeln weist das Spiel „Rund um das Mittelmeer“ auf.

            
     

Es „führt uns in einer Autoreise rund um das Mittelmeer durch 3 Erdteile und berührt herrliche Landschaften, historische Stätten mit imposanten Bauresten aus dem Altertum, moderne Hafenstädte und wundervolle Kurorte.“ – Im Grunde also alles wie gehabt. Eine Überraschung erlebt jedoch, wer sich auf die Suche nach einer Herstellerangabe macht, denn für das vermeintliche Konkurrenzprodukt zeichnet der VEB Kartonagen und Bürobedarf in Karl-Marx-Stadt verantwortlich. So konnte der DDR-Bürger 1959 zumindest auf dem Spielbrett problemlos mit seinem PKW sogar bis zu den ägyptischen Pyramiden vordringen.

Entgegen einer möglichen Erwartungshaltung bringt übrigens nicht das ost-, sondern das westdeutsche Spiel Politisches ins Spiel: Wer Cattaro, einen „an der dalmatinischen Küste gelegenen jugoslawischen Kriegshafen“ erreicht, muss – warum auch immer – „einen Umweg über Sofia, Stalin und Bukarest in Kauf nehmen“. Dass der Besuch der mit Sehenswürdigkeiten gesegneten Hauptstädte Bulgariens und Rumäniens nicht in den Rahmen der Urlaubsreise fällt, sondern unterschwellig als „in Kauf zu nehmendes“ Übel dargestellt wird, ist sicherlich ein Indiz, in welchem Maße seinerzeit, ob bewusst oder unbewusst sei einmal dahingestellt, negative Stimmungsmache auch aus der Bundesrepublik betrieben wurde, in diesem Fall gegen Mitgliedsstaaten des Warschauer Pakts.

Über den Mittelmeerraum hinaus geht es bei dem „lehrreichen Kartendomino“ „Kreuz und Quer durch Europa“

 

und in längst zurückliegende Zeiten wird versetzt, wer den mit einer auch nach über einem halben Jahrhundert immer noch zeitgemäß anmutenden Überlandfahrt-Szene illustrierten Karton des Spieles „Europa-Reise“ öffnet: Im krassen Gegensatz zum modernen Äußeren ist das in der Schachtel befindliche Spielbrett identisch mit dem Brett des aus den 30er Jahren stammenden Spiels „Auf Autostrassen durch Europa“.

                    
     

Selbst die seinerzeitige Spielregel wurde ohne Änderungen übernommen: „Heute wollen wir einmal eine Autofahrt durch Europa unternehmen. Ein großer Teil Europas wird bereits von den schönsten Autobahnen durchzogen. Mit Leichtigkeit kommt der Autofahrer von einer Stadt in die andere.“ Und so fährt der „liebe Spielfreund“ mit seinem kleinen Plastikauto nicht nur durch Brüssel, Paris und Rom, sondern auch in den 50ern noch „grenzenlos“ durch Stettin, Breslau oder Krakau. Eine Herstellerangabe ist auf der Schachtel nicht erkennbar, aber da eine angegebene Nummer mit der der von der Firma Klee herausgegebenen Vorkriegsausgabe übereinstimmt, ist anzunehmen, dass dieses Spiel ebenfalls von diesem Produzenten stammt. Weiters Indiz für eine entsprechende Zuordnung ist der Umstand, dass die Firma, da etliche Druckplatten den Krieg unbeschadet überstanden hatten, solche Neuauflagen alter Vorlagen auch bei anderen Spielen ihrer Produktpalette praktizierte.

Wohl durch den Erfolg seines (übrigens bereits Ende der 30er Jahre erstmals erschienenen)

 

                         
     

Klassikers „Deutschlandreise“ motiviert, hat der Otto Maier Verlag Ravensburg im Laufe der Zeit eine ganze Reihe weiterer Reisespiele auf den Markt gebracht: Rhein-Reise, Bodensee-Reise, Alpenreise, Reise durch die Schweiz, Benelux-Reise, Europareise (von der es, was wenig bekannt ist, ebenfalls eine 30er-Jahre Ausgabe (inklusive Zeppelin auf dem Deckelbild) gibt)

                    
     

 

und Weltreise. Regeltechnisch sind alle diese Spiele nach weitestgehend gleicher Machart konzipiert: Die Spielteilnehmer bekommen jeweils einen Ort zugelost, den sie durch eine in das Spielbrett zu steckende Nadel samt daran befestigtem Fähnchen markieren und an dem sie ihre mit Würfel und Spielfigur zu bewältigende Reise sowohl starten als auch beenden müssen. Ebenfalls per Zufallsprinzip werden Kärtchen mit Reisestationen verteilt, die im Verlauf des Spiels besucht werden müssen. „Der Geschicklichkeit des Spielers bleibt es nun vorbehalten, sich den kürzesten Reiseweg zu wählen“, da die Reihenfolge der einzelnen Stationen frei wählbar ist. „Wer zuerst wieder zu Hause ist, hat gewonnen.“ „Die Reisespiele des Otto Maier Verlages sind ebenso vergnüglich, wie lehrreich und interessant“, verspricht ein Werbeprospekt des Herstellers, „so lernt man spielend die Welt kennen!“

 

So sehr sich die Spielregeln ähneln, so unterschiedlich sind die Verpackungen gestaltet. Besonders gelungen kommen dabei die gezeichneten Schachtelillustrationen der 50er Jahre daher, die jede Menge Zeitgeist vermitteln, so zum Beispiel durch einen stark an einen VW „Brezelkäfer“ erinnernden PKW auf der „Rheinreise“.

 

Rund zwei Jahrzehnte muss es für die „Alpenreise“ dann schon ein Porsche 911 sein, der als Blickfang einen zusätzlichen Kaufanreiz bieten soll.

 

               
     

Auch die Illustrationen von zwei verschiedenen „Weltreise“-Versionen dokumentieren technischen Fortschritt. Zeigt die erste Ausgabe noch eine optisch an der seinerzeit weit verbreiteten Lockheed Constellation orientierte Propellermaschine, wird diese auf einer runderneuerten Verpackung durch ein Düsenflugzeug ersetzt.

                     
     

Dass der schnittige Flieger deutlich sichtbar mit dem Logo der Fluglinie Pan American aufwartet, kommt nicht von ungefähr: Im Jahr 1955 gelang der Gesellschaft der so genannte „Jet-Coup“. Unbesehen kaufte der Konzern die ersten, zu diesem Zeitpunkt noch in der Entwicklung befindlichen Düsenflugzeuge der Hersteller Boeing sowie Douglas und war somit bei deren erstem Einsatz im Oktober 1958 der Konkurrenz um Längen voraus.

Die Fortbewegung mit dem Flugzeug wird zum Beginn der 60er Jahre hin immer mehr zum Standart bei Urlaubsreisen und somit auch bei den Reisespielen. „Wer fliegt mit?“ fragt daher die Firma Klee mit ihrem „Weltreisespiel“. Dass es im gerade neu angebrochenen „Düsenzeitalter“ vor allem um Schnelligkeit geht, belegt die Spielanleitung: „Sieger unseres Spieles ist derjenige, der als erster die Welt umflogen und seinen Startplatz wieder erreicht hat.“

              
     
 

Überhaupt sind Auslandsreisen in den ausklingenden 50ern fast schon zu einem gesellschaftlichen Muss geworden, wie etliche Beiträge in zeitgenössischen Zeitschriften aufzeigen. In pointierter Weise auf den Punkt bringt dies 1958 eine „Mächtig ist der Drang nach Süden“ betitelte Seite mit gezeichneten Witzen imStern: „Nicht zu glauben, er war noch nie in Italien“ muss beispielsweise ein entnervter Lehrer den Spott seiner feixenden halbwüchsigen Schüler über sich ergehen lassen und in einer anderen Zeichnung verlässt ein Mann sichtlich entrüstet ein Reisebüro, während ihm der Verkäufer die Entschuldigung „Aber mein Herr, es war wirklich nur ein Scherz, als ich den Schwarzwald vorschlug“ nachruft. Ein amüsantes Zeugnis für diesen Trend ist „Das Bodensee-Spiel“, dem sein Herausgeber, der „Bodensee-Spiele Verlag Ewald Schwarz“, den seinerzeit sicherlich ernst gemeinten, im Nachhinein jedoch eher unfreiwillig komisch klingenden Untertitel „Ein Gesellschaftsspiel von der süddeutschen Riviera“ verpasst hat.

 

In der Regel geht nun aber die spielerische „Reise um die Welt“, wie etwa beim gleichnamigen Spiel von Josef Schneider Jr. in Wien (gemarkt mit „J.S.J“ über einem „W“). Auf dem attraktiv gestalteten Kartondeckel steht dafür ein bunter Fuhrpark aus Zug, Schiff, Passagierflugzeug, Düsenjet und gar einer Rakete zur Verfügung.

 

Hinzu kommen zwei stark an seinerzeit weit verbreitete Kleinwagen a la Lloyd erinnernde Automobile. Grenzenlos ist die Welt in Abel Klingers „Reise durch 5 Erdteile“: „Überall werden wir neue Eindrücke gewinnen und die Welt nicht mit Brettern vernagelt finden.“ „Reise durch die Welt“, eine spätere Version des gleichen Spiels, kommt mit einem modifizierten Bild auf der Schachtel daher, während Spielvorlage und –anleitung unverändert blieben.

                 
     

 

              
     

 

Durch seine opulente Ausstattung weiß das großformatige „interessante und lehrreiche Luftreise-Gesellschaftsspiel „Flug um die Welt“ der Firma Hausser zu gefallen. „Mit den modernsten Verkehrsflugzeugen unserer Zeit, die in den Diensten führender Luftverkehrs-Gesellschaften stehen, starten wir heute und fliegen über Meere, Länder und Kontinente. So besucht der Spieler mit einer der fragilen – und daher nur noch selten 100% intakten – Spielfiguren in Gestalt von Mini-Flugzeugen die Städte der Welt von Chicago bis Calcutta. Nähere Informationen hierzu kann er realitätsnah gestalteten „Flugscheinheften“ verschiedener Fluggesellschaften wie Air France, Swissair oder Lufthansa entnehmen. Gar nicht angeflogen wird jedoch die Sowjetunion, deren Gebiet in den Zeiten des Kalten Krieges für die Spielemacher der Firma Hausser offensichtlich „Terra incognita“ ist - weder Moskau noch eine andere Stadt sind namentlich eingezeichnet.

Wie bereits beim Spiel „Rund um das Mittelmeer“ angerissen, gab es in den frühen 50er Jahren auch für die Bürger der DDR zumindest auf dem Spielbrett keine Grenzen. Zwar könnte man meinen, dass solche Reisespiele zu der Gruppe der Spielwaren gehörten, die ausschließlich für den Devisen bringenden Export produziert wurden, jedoch wurden für diesen Zweck in der Regel an das Exportland angepasste oder herkunftsneutrale Verpackungen konzipiert. Da Spiele wie „Rund um die Welt“ jedoch eindeutig als DDR-Produkte gekennzeichnet sind, ist es wahrscheinlich, dass es sie auch im Arbeiter- und Bauernstaat zu kaufen gab. Theoretisch wären solche Reisen in den 50ern ja auch bis zu einem gewissen Grad durchaus möglich gewesen, praktisch stellten jedoch die dafür zu erfüllenden bürokratischen Voraussetzungen und nicht zuletzt auch die Devisenknappheit nahezu unüberbrückbare Hindernisse dar. Denn während die DM sich zu einem auch im Ausland begehrten Zahlungsmittel entwickelte, stießen reisewillige DDR-Bürger dort mit ihrer Währung auf deutlich weniger Gegenliebe. 

Auf dem Spielbrett jedenfalls durften die in Berlin zu einer „interessanten Rekordfahrt“ „Rund um die Welt“ startenden Mitspieler nicht nur in Moskau den Kreml besichtigen, sondern auch in Miami ein Bad nehmen, Wellenreiter vor Honolulu beobachten oder einen Abstecher zu den Niagara-Fällen machen. – Absicht oder nicht: Auf der Deckelillustration der ersten Ausgabe von 1951 platzierte der ausführende Zeichner die Sowjetunion so, dass sie sofort ins Auge des Betrachters sticht, während Amerika fast unter einer Wolke mit dem Schriftzug des Spieltitels zu verschwinden scheint. 1953 brachte der Hersteller, die Ferdinand Krick KG Leipzig (Logo: KGV Spiele), eine Version mit gleichem Inhalt, jedoch verändertem Schachtelbild und der Ergänzung „von Alfred Hansel“ heraus.

               
     

            
     

Danach war dann – auch spielerisch – Schluss mit den Weltreisen. Denn gegenläufig zur Entwicklung in der Bundesrepublik wurden in der DDR auch auf dem Spielbrett die Kreise immer enger. Abgesehen von dem 1959 erschienenen „Ausrutscher“ „Rund um das Mittelmeer“ propagierte man nur noch die Schönheiten des eigenen Landes, ob „An den Ufern der Elbe“, auf einer „Reise durch Sachen“ oder im Rahmen einer „Reise durch Thüringen“.

                

     

 
            
     

 

                    
     

Gerne wurden auch die Errungenschaften des Sozialismus in die Spielanleitungen mit eingebaut: „An heilkräftigen Quellen und ozonreichen Luftkurorten des Thüringer Waldes finden wir modernste Urlaubsstätten, in denen alljährlich Tausende von Werktätigen neue Kraft schöpfen. In den nördlichen Bezirken lernen wir fruchtbare Auen kennen, die von unseren werktätigen Bauern mit neuesten Maschinen bearbeitet werden und alljährlich steigende Erträge bringen“ etc.

Statt zu fliegen wurde gewandert („Wir wandern durch Sachsen-Anhalt und Brandenburg“)


 

und in einem Spiel des FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund), der durch seinen „Feriendienst“, der den Werktätigen unabhängig vom Einkommen Urlaubsreisen ermöglichen sollte, der größte „Reiseveranstalter“ in Deutschland-Ost war, ging es „Im Auto durch die DDR“. Ausgesprochen beliebt war in der DDR das Camping. Widergespiegelt wird dies durch „Touristik“, einem sehenswert gestalteten „Touristikspiel“ mit Spielfiguren in Form kleiner Plaste-Segelboote und Aufgabenpunkten wie „Zelt aufbauen“.

            

     

"Eine Reise durch Freundesland", Beilage der Zeitschrift "Fröhlich sein und singen" (1955)

Zuletzt noch eine Besonderheit: Das DDR-Spiel „Gute Fahrt durch unser deutsches Vaterland“ aus dem Jahr 1955 ignoriert die deutsche Teilung komplett. „Wir wollen diesmal mit dem Auto durch unsere deutsche Heimat fahren und dabei Landschaft, Städte und Wirtschaft kennenlernen. Berlin, die Hauptstadt Deutschlands, ist Start und Ziel unserer Rundfahrt. Und so fährt der Spieler „am Wannsee vorbei“ über „Hamburg, die drittgrößte Stadt Deutschlands“ nach Dortmund, in das „Zentrum der deutschen Schwerindustrie“ und erfährt derart im weiteren Verlauf aus der Spielanleitung Wissenswertes über die jeweils angewürfelten Städte und deren Umgebung: „Koblenz. Zusammenfluß von Mosel und Rhein. Moselbrücke gesperrt; muß zurück nach Bonn und über Trier nach Bingen fahren.“  In Freiberg, der Stadt der Bergakademie, steht Ärger ins Haus: „Ausweiskontrolle im Bergbaugebiet durch Volkspolizei. Muß, da Papiere nicht in Ordnung, zurück nach Karl-Marx-Stadt zum Polizeipräsidium.“ In Dresden, der „berühmten Stadt an der Elbe (Zwinger)“ nimmt der Spieler „einen Tag freiwillig am Wiederaufbau der Stadt teil – zweimal aussetzten“. Und in Hof schlägt er ziemlich über die Stränge: „Hat zuviel Kulmbacher Bier getrunken und darf nicht weiterfahren (Alkoholverbot für Kraftfahrer). Muß ausscheiden und von vorn beginnen.“

                

"Der Deutschlandexpress - Ein lehrreiches Würfelspiel", Beilage der Zeitschrift "Fröhlich sein und singen" (1954)

  "Gute Fahrt durch unser deutsches Vaterland!"

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